Grundlegendes
Chronische Lungen-Erkrankungen (CLE) sind Systemerkrankungen und weisen eine "enge Verflechtung des örtlichen Krankheitsgeschehens mit weit darüber hinausreichenden Allgemeinsymptomen" auf - auch im psychomentalen Bereich.
Die Prävalenzraten von psychischen Begleitsymptomen bei CLE schwanken innerhalb sehr weiter Grenzen. Werte zwischen 10 und 90% sind ebenso zu finden wie Angaben zur durchschnittlichen Häufigkeit von 54% bzw. 66%.
Psychopneumologische Zusammenhänge variieren interindividuell und im Krankheitsverlauf. Sie sind "nicht nur von Mensch zu Mensch, sondern auch von Stadium zu Stadium weitgehend verschieden".
In den einzelnen Krankheitsstadien zeigen sich folgende psychopneumologische Phänomene.
1. Prodromal-Stadium
- CLE können psychische Prodromi aufweisen, "die dem eigentlichen Ausbruch der Erkrankung manchmal weit vorauseilen". Sie werden leider selten für Präventions- bzw. Früh-Interventionen genutzt, wodurch "kostbare Zeit für die Behandlung verlorengeht, die gerade jetzt noch besonders erfolgreich eingreifen könnte."
- Die psychischen Prodromi und Frühsymptome lassen sich in Grund- und Folgesymptome unterteilen. Grundsymptome sind rasche Ermüdbarkeit, Leistungsminderung, kognitive Beeinträchtigungen (Konzentrationsschwäche, Merk- und Gedächtnisschwäche, besonders das Kurzzeitgedächtnis betreffend), affektive Störungen (Reizbarkeit, Stimmungslabilität). Als Folgesymptome entwickeln sich Minderwertigkeitsgefühle, depressive Verstimmung, emotionale Instabilität.
2. Diagnose-Stadium
Die Diagnose einer CLE erfolgt zumeist im Rahmen einer akuten Verschlechterung. Die psychischen Auswirkungen betreffen in dieser Phase mehrere Schichten:
a) Psycho-Neuro-Immunologische Ebene (PNI)
b) psycho-reaktive Ebene
c) psycho-soziale Ebene
a) Auf PNI-Ebene:
- dominieren kognitive Einbußen (wie Konzentrations- und Gedächtnisschwäche, vermindertes Leistungsniveau), sowie Stimmungslabilität und erhöhte Suggestibilität.
- Die erhöhte Suggestibilität bietet "praktisch wertvolle Ansatzmöglichkeiten für die Psychotherapie" - etwa im Sinne der "Placebo-Kommunikation".
b) Die Symptome der psycho-reaktiven Ebene bei CLE:
- sind "natürlich von Fall zu Fall recht verschieden ... gleichwohl kommt ihnen eine erhebliche praktische Bedeutung zu".
- Entscheidend beeinflußt das "Krankheitserlebnis" (Illness Perception), ob und auf welche Weise die Diagnosemitteilung als Trauma erlebt und verarbeitet wird:
- Kommt es "zu einer mehr oder weniger schweren Schockwirkung"?
- Entwickelt sich eine "reaktive Depression" im Sinne einer Anpassungsstörung - oder weicht die traurige Verstimmung einer "zuversichtlicheren, hoffnungsfreudigeren Einstellung" (was für ein gelungenes Coping spricht)?
- Erliegt der Patient dem Sog der Regression durch das ursprünglich positive "Geborgenheitsgefühl" des stationären Settings - oder übernimmt eine skeptisch-mißtrauische bis paranoide Haltung die Führung?
- Führt eine ausgeprägte Verdrängungsneigung durch "Leichtsinn" zu selbstgefährdendem Risikoverhalten - oder gelingt dem Patienten mit Hilfe einer optimistischen Grundhaltung ein effektives Coping und möglicherweise sogar ein "Post-traumatisches Wachstum"?
- Neigt der Patient aufgrund der finanziellen Belastungen durch die CLE zu Existenzängsten oder zu Tendenzreaktionen?
c) Auch auf psycho-sozialer Ebene finden sich Zusammenhänge:
- Ein "Abwärts-Vergleich" mit anderen Patienten ("daß es ihm sogar noch verhältnismäßig gut geht") wirkt stabilisierend.
- Stigma-Erfahrungen hingegen können zu Selbstunsicherheit und sozialem Rückzug führen.
- Auswirkungen der CLE oder der notwendigen Therapie auf Libido und Potenz bringen die Beziehungsdynamik aus dem Gleichgewicht und erfordern ein flexibles, effektives Dyadisches Coping.
- Resignativ-verbitterte Reaktionen sind häufig Folge einer inadäquaten Reaktion des sozialen Umfeldes.
3. Chronisches Stadium
Alle vorbeschriebenen Zusammenhänge gelten in ähnlicher Weise für die psychischen Veränderungen im chronischen Verlauf einer CLE.
- Auf der PNI-Ebene ist die Fatigue erwähnenswert, "die vielfach in gar keinem eindeutigen Verhältnis zur Schwere des Lokalbefundes" steht und sich "mit fortschreitender Erkrankung nicht etwa verschlechtert, sondern eher bessert - wohl aufgrund einer Anpassung und Gewöhnung des Gesamtorganismus".
- Bei den kognitiven Einschränkungen dominieren Gedächtnisschwäche und affektive Labilität.
- Die Psycho-reaktiven Symptome zeigen eine deutliche Abhängigkeit von der "prämorbiden Persönlichkeit". Eine Akzentuierung der Grundpersönlichkeit ist möglich. Dies gilt insbesondere für die Neigung zu Tendenzreaktionen, Verdrängung, Selbstzweifel, paranoiden Reaktionen (Negativismus, Verbitterung).
- Als dauerhafte psycho-soziale Auswirkungen können "Egozentrizität" und "Lebensangst" die sozialen Interaktionen stark belasten.
Umkehr der Blickrichtung
Wichtig ist den Autoren der Hinweis auf die bidirektionalen Zusammenhänge, insbesondere "ob und in welcher Weise psychische Vorgänge und Zustände auf die Entwicklung und den Verlauf" der CLE einwirken.
Zur psychischen Ätiologie verweisen sie auf
Als pathogenetische Gemeinsamkeit erscheint es ihnen plausibel, "daß durch seelische Konfliktspannungen die Widerstandskraft des Organismus herabgesetzt wird". Dadurch können sowohl Ausbruch wie Verlauf der CLE entscheidend beeinflußt werden.
Soweit die Neuigkeiten vom "Zauberberg" - in einer Übersichtsarbeit aus dem Jahre 1938!
Bemerkenswert:
Zu fast allen aufgeführten "Neuigkeiten" von damals gibt es aktuelle Studien mit teils bestätigenden, teils widersprüchlichen Befunden (siehe Verlinkungen!).
Es bleibt zu hoffen, daß die aktuellen psychopneumologischen Forschungsergebnisse zum Nutzen der Patienten mit CLE immer effektiver in die Praxis umgesetzt werden.
Bildquelle: Privat
Artikel letztmalig aktualisiert am 12.06.2016.